Umverteilung Lesezeit 4 Min.

Die Reichen zahlen, die Armen bekommen

Ob im Steuersystem, bei der Kranken- und Rentenversicherung oder durch Sozialabgaben sowie -transfers: In Deutschland wird massiv umverteilt. Das gelingt deutlich besser, als es die öffentliche Diskussion häufig vermuten lässt. Denn das Leistungsprinzip funktioniert – wer viel verdient, muss viel abgeben, und wer wenig hat, bekommt Unterstützung. Nur zwei Aspekte könnten noch besser sein, zeigt eine neue IW-Analyse.

Kernaussagen in Kürze:
  • Das Leistungsprinzip funktioniert: Innerhalb des deutschen Steuer- und Sozialsystems wird massiv von reich nach arm umverteilt.
  • Beim ärmsten Zehntel der Haushalte machten staatliche Transfers 2019 etwa zwei Drittel des Bruttoeinkommens aus.
  • Die reichsten 10 Prozent gaben unterm Strich mehr als 47.600 Euro ab, die ärmsten bekamen über 3.300 Euro.
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Manchmal kann der nüchterne Blick auf die Zahlen eine hitzige Debatte versachlichen. Das gilt auch für all die Diskussionen über den deutschen Sozialstaat und seine vermeintlichen Ungerechtigkeiten, die manche mit einer neuen Vermögensteuer oder einem höheren Spitzensteuersatz bekämpfen wollen. Das IW zeigt in einer neuen Studie jetzt, dass entsprechender Aktionismus gar nicht nötig ist. Denn die Umverteilung von Reich zu Arm funktioniert (Grafik):

Im Jahr 2019 zahlten die einkommensreichsten 10 Prozent der Haushalte durchschnittlich über 47.600 Euro mehr an Steuern und Sozialabgaben, als sie aus dem Transfersystem erhielten.

Steuern und Sozialausgaben sowie erhaltene Zahlungen im Jahr 2019 in Euro je Haushalt Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Beim obersten Prozent waren es sogar mehr als 118.000 Euro.

Nahezu mustergültig ist die Stelle im Einkommensgefüge, an der aus Nettoempfängern Nettozahler werden. Um diesen Punkt zu bestimmen, hat das IW die Haushaltseinkommen ihrer Höhe nach gereiht und die Haushalte in zehn gleich große Gruppen – Dezile – aufgeteilt:

Die Haushalte im fünften Dezil erhalten jährlich per saldo noch fast 500 Euro vom Staat und den Sozialversicherungen. Im sechsten Zehntel müssen sie dann schon auf fast 3.000 Euro ihres Bruttoeinkommens zum Wohl der Allgemeinheit verzichten.

Besonders viele Rentner gibt es im zweiten und drittel Einkommenszehntel.

Einzig am unteren Ende der Einkommensskala scheint das System nicht perfekt – denn nicht im ersten, sondern erst im zweiten und dritten Einkommenszehntel bekommen die Haushalte den größten Batzen vom Staat: jeweils über 6.000 Euro. Das hat allerdings den einfachen Grund, dass sich im zweiten und dritten Einkommenszehntel besonders viele Rentner befinden. Und deren Einkommen stammt eben auch aus dem Sozialsystem.

Einen vergleichbaren Effekt gibt es bei Pensionen (Grafik):

Die meisten Pensionszahlungen leistet der Staat an Haushalte im neunten Dezil. Die Pensionen machen in diesem Zehntel fast 50 Prozent der monetären staatlichen Transfers aus.

Durchschnittlicher Anteil staatlicher Transfers im Jahr 2019 am jeweiligen Bruttoeinkommen in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein weiterer Grund dafür, dass nicht die niedrigsten Einkommen den besten Schnitt aus Abgaben und Transfers haben, liefert das deutsche Steuersystem: Zwar sind einige Steuersätze wie die der Einkommensteuer progressiv, steigen also mit dem Einkommen an, doch andere Steuern und Abgaben sind ein fixer Prozentsatz.

Gleichzeitig ist der Anteil der Konsumausgaben am Einkommen bei den Beziehern niedriger Einkommen am höchsten. Das macht sich beispielsweise bei der Mehrwertsteuer bemerkbar:

Im Jahr 2019 zahlten die einkommensärmsten 10 Prozent der Bevölkerung 14 Prozent ihres Einkommens an Mehrwertsteuer; im achten Einkommensdezil war der Anteil nur noch halb so hoch.

Allerdings weist das IW in seiner Studie darauf hin, dass gerade die Mehrwertsteuer, aber beispielsweise auch die EEG-Umlage, bei der Berechnung staatlicher Transfers berücksichtigt werden. Letztlich zahlt der Staat diese Beträge für einkommensschwache Haushalte also über seine Sozialtransfers.

Die ärmsten Haushalte zahlen anteilig am meisten Tabaksteuer – das ist aber im Sinne des Erfinders.

Auch bei den Steuern auf Alkohol, Tabak und Wettspiele zahlen die Einkommensärmsten mit über 2 Prozent ihrer Einkommen den mit Abstand größten Anteil. Daraus einen Skandal zu machen, wäre aber die falsche Perspektive: Diese Abgaben sind allesamt als sogenannte Lenkungssteuern konzipiert – der Fiskus macht bestimmte Produkte bewusst teurer und unattraktiver, um so deren Konsum einzuschränken.

An anderer Stelle, so die IW-Studie, könnten vermeintliche Probleme des Umverteilungssystems indes einfach gelöst werden: Häufig nehmen einkommensarme Haushalte, die das Recht auf staatliche Unterstützung hätten, diese nicht an – zum Beispiel Wohngeld. Dadurch verteilt der Staat weniger um, als es das System vorsieht. Durch mehr Transparenz und eine effizientere Verwaltung könnte das Leistungsprinzip im deutschen Sozialstaat noch besser funktionieren.

Unterm Strich zeigt die Analyse der verfügbaren Daten, dass diese beiden Aspekte die Leistungsfähigkeit des Umverteilungssystems kaum einschränken:

Der Anteil staatlicher Transfers machte beim ärmsten Zehntel zwei Drittel des Bruttoeinkommens aus, beim einkommensreichsten nur noch 5 Prozent.

Gleichzeitig steigt die prozentuale Belastung der Bruttoeinkommen durch Steuern und Sozialbeiträge mit dem Einkommen – allerdings nicht so stark, wie mancher vermutet oder hofft:

Steuern und Sozialabgaben belasten die Bruttoeinkommen des zweiten Dezils mit rund 30 Prozent. Das oberste Dezil wird mit mehr als 39 Prozent belastet.

Durch die bereits geschilderte Problematik der regressiv wirkenden Mehrwertsteuer liegt die Belastung im untersten Einkommenszehntel mit knapp 32 Prozent etwas höher.

Generell zeigt die IW-Auswertung aber, dass sich in den oberen Dezilen die progressive Einkommensteuer durchaus bemerkbar macht:

Die Gesamtsteuerbelastung der deutschen Haushalte steigt von knapp 20 Prozent im zweiten Dezil auf 32 Prozent im zehnten Dezil.

Die Sozialbeiträge legen analog dazu ebenfalls zu – aber nur bis auf knapp 13 Prozent im fünften Einkommensdezil. Danach machen sich die Beitragsbemessungsgrenzen in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung bemerkbar – also jene Bruttoeinkommen, ab denen keine zusätzlichen Beiträge an die Versicherungen mehr fällig werden.

Die private Vorsorge von Reichen und Selbstständigen taucht in der Statistik nicht auf.

In der Kranken- und Pflegeversicherung liegt diese Grenze bei rund 56.000 Euro jährlich, in der Rentenversicherung deutlich darüber: Im „günstigsten“ Fall bei 77.400 Euro – und zwar in der allgemeinen Rentenversicherung im Osten Deutschlands.

In den höheren Dezilen wirkt dann außerdem die Versicherungspflichtgrenze der Krankenversicherung: Ab einem bestimmten Einkommen, derzeit sind es knapp 63.000 Euro pro Jahr, muss man sich nicht länger gesetzlich krankenversichern.

Die private Vorsorge jenseits der Versicherungspflichtgrenze wird in der Abgabenstatistik indes nicht erfasst. Entsprechend wird die tatsächliche Belastung reicherer Haushalte für Versicherungen unterschätzt - sie liegt zusammen mit den Zahlungen an die private Krankenversicherung sicherlich höher.

Gleiches gilt für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung der Selbstständigen. Denn die haben ebenfalls keine Versicherungspflicht, sorgen aber auch privat vor.

Online-Tool: „Wer den Staat finanziert“

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